Elena Malzew, Martin Karcher, Zusammenhalten

Astrid Kajsa Nylander. Mega WiederstandskraftKunstverein Siegen2019

Text on the occasion of the exhibition of the same name by Astrid Kajsa Nylander at the Kunstverein Siegen

Elena Malzew, Martin Karcher
ZUSAMMENHALTEN

Take The Power Back (Intro)

Im Januar 2017 protestierten 750 000 Menschen gegen die Inauguration des neuen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump in Los Angeles. Massen strömten auf die Straßen und brachten ihren Missmut gegenüber der bestehenden, patriarchal-sexistischen Ordnung zum Ausdruck. Sie versammelten sich, bastelten Schilder, bildeten Chöre, kurz: Sie praktizierten praktische Kritik mit ihren Körpern und den Dingen. Im unmittelbaren Kontext dieser Ereignisse entstanden die ersten Skizzen für MEGA WIDERSTANDSKRAFT von Astrid Kajsa Nylander. Das heißt, sie kommen aus einer Atmosphäre des Protests, des Widerstreits und der öffentlichen Versammlung - sie tragen Spuren genau dieses Entstehungszusammenhangs. Sie problematisieren eingespielte Kategorien der bestehenden Ordnung, ihre gemeinsame Signatur ist schließlich die große Frage, ob Kunst etwas bewirken und widerständig sein kann.

Entanglements

Nylanders Arbeiten greifen nicht nur in den Raum ein, sie transformier diesen grundlegend. Diese radikale Form der Raumnahme lässt sich am ehesten mit dem Begriff der Intra-aktion (Barad) beschreiben: Kunst, Raum und BesucherIn existieren nicht als einzelne Entitäten, fein säuberlich getrennt nebeneinander: hier aktive BeobachterInnen, da passive Kunst. Vielmehr sind ästhetisches Objekt und betrachtendes Subjekt konstitutiv mit- und ineinander verwoben, sie existieren nur gemeinsam und werden in Intra-aktion hervorgebracht, womit sich gleichsam auch die modernen Kategorien von Subjekt und Objekt auflösen oder zumindest brüchig werden. Es gibt kein unbeteiligtes und trennendes ‚dazwische‘ mehr, wir sind keine unschuldigen BeobachterInnen, sondern Teil einer (ästhetischen) Umwelt, so wie diese ein Teil von uns ist. Nylander problematisiert diese statischen und unterkomplexen Trennungen, ihre Arbeiten spielen mit den normalisierten Grenzen von Architektur und Theater: Sie bearbeitet den Raum als Kulisse, also dekorativ und produktiv zugleich.Das zentral im Raum platzierte, mit dunklem Samt bezogene Sofa nimmt die BesucherInnen auf wie ein Schwamm, bindet sie mit dem Ort und anderen Menschen. Es erlaubt Gemütlichkeit und Geselligkeit, Eigenschaften, die man nur selten dem Museum zuschreibt. Passen sich die Dinge an uns an oder wir als Menschen an die Dinge? Bruno Latour machte darauf aufmerksam, dass die Dinge in ihrer Verbindung mit Menschen (und andersrum) komplexe Netzwerke bilden und eine Vorstellung der einseitigen Wirkung als überholt gelten muss. We’re in this together.

Maschen der Macht: Normierung und Normalisierung

Ohne Widerstand keine (wärmende) Reibung und kein Auftrieb. Widerstand bedeutet immer zunächst widerständig gegenüber etwas Bestehendem (oder Aufkommendem) zu sein, so wie ‘growing in patriarchy’ (so der Titel der Malerei-Serie Nylanders, 2019) immer zunächst growing into patriarchy bedeutet – in die bestehende Ordnung hinein zu wachsen. Denn es gibt kein utopisches Außen, wir werden in eine Sprache hineingeboren, die bereits lange vor uns existiert und innerhalb der die bestehenden Strukturen wieder und wieder performativ stabilisiert werden. Strukturen, Gitter, Raster und Muster sind prominente Motive in den Arbeiten von Nylander und dabei stets mehr als bloßer Hintergrund: In und an ihnen wachsen Pflanzen, Blumen und andere Dinge, die sich anpassen und rebellieren zugleich. Es geht um Beziehungen und die wechselseitige Konstitution: Wir sind verwachsen mit den (teils) repressiven Kategorien, lernen uns selbst in diesen zu lesen, sie werden zu einem Teil von uns, so wie die Pflanze in den Zaun hineinwächst. Ohne Struktur, keine Emergenz. Deutlich wird hier, dass die Macht nicht repressiv ist, sie ist vielmehr produktiv.Normalität und Normierung stehen in einem engen Zusammenhang, wie Jürgen Link in Bezug auf die Etablierung von Industrienormen herausgearbeitet hat. Dieses Motiv wird auf zwei Ebenen von Nylander aufgegriffen. Zum einen über die die Normierung von Wahrnehmung(-sformaten). Das Bild MEGA WIDERSTANDSKRAFTSE01 mit den  Maßen 185 cm x 328 cm entspricht genau dem Bildschirmverhältnis 16:9 – dem modernen Fenster zur Welt. Bewegte Bilder in anderen Formaten, wie beispielsweise das Videoformat 4:3, erscheinen uns heute geradezu archaisch. Das bleibt nicht ohne Folgen für unsere Seh- und Wahrnehmugsbereitschaften und schließlich Denkgewohnheiten. Das Medium ist kein neutrales Vermittlungsinstrument, es ko-konstruiert und entwirft unsere Perspektive auf uns und auf die Welt. Zum anderen spielen Materialitäten eine gewichtige Rolle. Der Fernseher strukturierte und homogenisierte das fordistische Wohnzimmer. Mit den Möbeln, die auf ihn stets ausgerichtet waren, schuf er eine räumliche Normalität, wofür Fernsehserien aus den 1990er Jahren zahllose Belege liefern. Heute sind mobile Geräte dabei, diese tradierte Ordnung aufzulösen: Serien werden beim Sport geschaut, in der Bahn oder im Büro, die Normierungen jedoch bleiben bestehen. War es vormals René Magrittes ‚Fenster‘, welches die ‘human condition’ zum Ausdruck brachte und auch den Blick nach Außen zuließ, ist es heute der (mobile) Bildschirm.

Globale Ästhetik des Widerstands

Im Gegensatz zur sich etablierenden globalen Ästhetik des Widerstands, die möglichst viele Menschen gleichzeitig adressieren und in Bewegung bringen möchte, ist das spätmoderne Museum ein Ort der Distinktion und Askese. Protest möchte in seiner Botschaft eindeutig und unmissverständlich, d.h. ohne Vorwissen zugänglich sein: Plakate sind notwendig plakativ. Dem ästhetisch-künstlerischen Diskurs hingegen ist diese unmittelbare Direktheit verdächtig: Was leicht und für jede/n lesbar und in seiner Symbolik eindeutig ist, gilt als banal. Politischer Protest und ästhetischer Ausdruck scheinen schwer verbindbar. Dieses Passungsproblem wirft Rückfragen auf: Handelt es sich bei Nylander um eine mimetische Aneignung der Geste des politischen Protests und der kritischen Haltung oder eine Art ästhetisches Re-enactment des Protests? Astrid Kajsa Nylander lässt diese Fragen offen und bewegt sich im Spannungsverhältnis, sie öffnet und verweist, ohne belehren zu wollen. Gleichsam ist hier in genau diesem Spannungsverhältnis die Frage nach Kritik, Institution und Vereinnahmung eingelagert. Kunst und öffentlicher Protest haben ein gemeinsames Problem: Die institutionelle Vereinnahmung macht ihre Kritik zahnlos, zugleich wollen sie jedoch Gehör und Anerkennung finden, von der Macht gesehen werden. Allerdings tilgt die museale Einordnung den Protest, nimmt ihm den Stachel: Bedrohliches kann in Ruhe, mit Distanz und hinter schützendem Glas begafft werden. Die Vitrine schafft Distanz, was vormals unmittelbar und bedrohlich wirkte, wird beschaulich, der Lärm wird leiser, Chaos wird zu Ordnung. Die Bewegung des Protests kommt hinter der Glasscheibe zum Stillstand. Das notwendig Bedrohliche des Widerstands wird handzahm. Unbeantwortet bleibt die Frage, welche Kritik sich nicht vereinnahmen lässt. Kann es – im Anschluss an Adorno – noch eine Hoffnung auf das kritische Potential der Kunst geben und das diese doch etwas bewirkt?

Die Macht des Symbolischen

Auch wenn sich das Museum in seiner dominanten Selbstbeschreibung als offener und inklusiver Ort präsentiert, an dem jede/r willkommen sei, zeigt sich schnell eine stillschweigende Homogenität in den Habitus seiner BesucherInnen, was die Frage aufwirft: wessen Raum ist das Museum? Wer kann oder darf sich hier eigentlich wohlfühlen und unter welchen Bedingungen? Wer kann sich frei unter der permanenten Aufsicht bewegen ohne dabei jede Geste kontrollieren zu müssen?  Wessen Ästhetik wird erlaubt, auf- bzw. abgewertet? Denn auf der einen Seite präsentiert sich das Museum als Ort der zwanglosen Begegnung, der freien Öffentlichkeit. Auf der anderen  jedoch verunmöglicht die symbolische Gewalt des Museums genuine Geselligkeit: Jedes unangepasste Sprechen wird durch ein psssst ermahnt und beschämt. Der Ausschluss zeigt sich an den Körpern derjenigen, die mit der Ordnung des Museums nicht vertraut sind, sie verkrampfen unweigerlich, verhalten sich unbeholfen und fallen aus dem Bild, d.h. sie fallen auf, ihnen wird eine Aufmerksamkeit zuteil, die sie beschämt. Auch wenn die Tore des Museums weit offen stehen, sind es symbolische Barrieren, die echte Zugänge verwehren. Diese macht-förmige Ordnung wird beispielsweise daran lesbar, dass das Museum nichts Gemütliches haben darf. Alles präsentiert sich hier maximal reduziert, pietistisch-freudlos, jede Spur von Gemütlichkeit wird als Bedrohung der bestehenden Ordnung gelesen, die die Institution in Kitsch kippen lassen könnte. Nylanders Arbeiten sind demgegenüber ein Kommunikationsangebot, ein Treffpunkt, die Bedingung der Möglichkeit einer geteilten Öffentlichkeit. In einer Zeit der radikalen Beschleunigung und des systematischen Abbaus von historisch erkämpfter und geteilter Öffentlichkeit, in der das Verweilen verunmöglicht wird, sind das politische Orte der Kritik.

Fight the Power

Astrid Kajsa Nylander macht normalisierte und normalisierende Verhältnisbestimmungen zum Gegenstand ihrer Arbeit: Von ernster und unterhaltender Kunst, Innen und Außen, vertraut und fremd, privat und öffentlich, Herrschaft und Knechtschaft – und zeigt dabei wiederholt, dass diese sich nicht einfach gegenüber stehen, sondern stets relational aufeinander bezogen sind. Die Ausstellung MEGA WIDERSTANDSKRAFT wird damit zum Platz einer politischen Aushandlung. Mit Rancière ist die „politische Tätigkeit [...] jene, die einen Körper von dem Ort entfernt, der ihm zugeordnet war oder die Bestimmung eines Ortes ändert; sie lässt sehen, was keinen Ort hatte gesehen zu werden, lässt eine Rede hören, die nur als Lärm gehört wurde.“ Die Ausstellung MEGA WIDERSTANDSKRAFT verändert eben diese ‚Bestimmung des Orts‘, sie transformiert die Institution zum Ort der Versammlung, die mit ihrem konspirativen Charakter Hoffnung und Angst gleichzeitig stiftet. Astrid Kajsa Nylander durchbricht mit ihren Arbeiten das implizite Versammlungsverbot innerhalb des Museums und nimmt dessen ästhetischen und politischen Anspruch zu gleichen Teilen ernst.