Aidan Jakfar, ترانه های عاشقانه خواهیم خواند we shall sing songs of love

Come Over Chez Malik's @ AdmiralitätstraßeAdmiralitätstraße 71, Hamburg14.5. – 24.5.2022

Come Over Chez Malik’s is a project space located in the basement of a vodka bar near the central train station in the St. Georg district of Hamburg. Founded in 2014, it has been run by Elisa Barrera and Elena Malzew since 2018. During the Covid-19 pandemic, the bar was closed, and events were held at other locations. ترانه های عاشقانه خواهیم خواند we shall sing songs of love by Aidan Jakfar took place at Admiralitätsstraße 71

www.comeover.org


Aus den über Jahre hinweg geführten Gesprächen zwischen Aidan Jakfar und anderen Geflüchteten, entstand ein transkribierter und editierter Textkörper, den sie zu insgesamt acht Monologen und einem Buch mit dem Titel Stimmen Afghanischer Geflüchteter aus Deutschland zusammenfasste. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland unter dem Gesichtspunkt der Einwanderung. Basierend auf diesem Textkörper verwebt Jakfar in der Ausstellung „we shall sing songs of love“ diverse kinematographische Mittel um unterschiedliche Sprecher*innenpositionen und Stimmen und deren Realitäten zu manifestieren. Where do we speak from, where do we sing from and to whom?

Eine der Stimmen aus den Monologen spricht in dem Film Hollage der Ort an dem wir jetzt leben (2021). 
 Sie gehört einer Frau mit marxistischem Hintergrund, die Ende der 90er Jahre mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen ist. In ein ländliches Gebiet versetzt, zeigt einer/m die unbewegte Kamera eine (fast kitschige, an die cineastische Sentimentalität des persischen Kinos anmutende) Landschaftsaufnahme nach der anderen. Hollage, ein Ort, der einem sofort wieder aus dem Kopf verschwindet durch den Überfluss an poetischen Naturbildern und funkelndem Lichtspiel. Ästhetisch erinnern die Bilder an alte Handyfotos und gleichzeitig herrscht die gleiche Distanz zwischen Betrachter*in und der unnachgiebigen, europäischen Natur wie in den Malereien des Caspar David Friedrich. Man findet jedoch keinen einzigen Menschen, kein Wanderer über dem Nebelmeer reckt sich empor. Es entsteht der Eindruck, man befinde sich in einem Nicht-Raum, vielleicht einer schimmernden Fantasie oder einem besseren „danach“.

Im Vordergrund jeder Aufnahme sind größere Untertitel in Farsi (Farsi-speaking audience) und kleinere in Englisch (international audience) unterlegt. Diese audiovisuelle Überführung in zwei konzise, parallele Zeilen rahmt jedes einzelne Bild mit, sodass es als Zitatbild für sich stehen könnte, wie die Postkarte eines Kinofilms. Aus der Perspektive der Übersetzerinnen, der Interpretations-Mittlerinnen zwischen language(n) gibt es zwei Varianten einen Film zu untertiteln:

„Domestication und Foreignization sind Strategien in der Übersetzung, die sich darauf beziehen, inwieweit Übersetzer einen Text an die Zielkultur anpassen. Domestizierung ist die Strategie, einen Text eng an die Kultur der Sprache anzupassen, in die er übersetzt wird, was den Verlust von Informationen aus dem Ausgangstext bedeuten kann. Foreignization ist die Strategie, die Informationen des Ausgangstextes beizubehalten, und beinhaltet den bewussten Bruch mit den Konventionen der Zielsprache, um die Bedeutung des Textes zu erhalten.

In seinem 1998 erschienenen Buch The Scandals of Translation: Towards an Ethics of Difference (Auf dem Weg zu einer Ethik der Differenz) stellt Venuti fest, dass ‘Domestizierung und Verfremdung mit der Frage zu tun haben, inwieweit eine Übersetzung einen fremden Text an die übersetzende Sprache und Kultur anpasst, und inwieweit sie vielmehr die Unterschiede dieses Textes signalisiert’.“* Die Sprechposition und damit verbundene Über-setzungs-leistung befindet sich also auch schon in der Untertitelung. Diese Form wird in der Wandarbeit von Aidan Jakfar als Mittel benutzt, um eine Verschiebung zu bewirken, sodass innerhalb der Untertitel an der Wand ein neuer, eigener Sprechplatz erschaffen wird, der das Displacement intrinsisch miteinschließt. Durch die Transponierung der Untertitelform und damit des filmischen Bildraums (und dem Nichtraum) an die weiße Ausstellungswand wird man vor die Unfassbarkeit der Geschehnisse ausgesetzt. Du bist im Film. Hinzukommend „vergegenständlicht und äußert sich die abstrakt wirkende Politik in den Realitäten der Personen“**, die hier zitiert werden. Einer Rede, die von der selben Sprechenden aus dem Film geschrieben wurde, begegnen wir in Verbindung mit einem alten Foto aus Afghanistan.

Das Jahr der Entstehung weiß man nicht mehr genau, es wird so aus den 70ern sein.

Es gibt klare Gebrauchsspuren, das Foto ist an einigen Stellen verblasst, und in den farblichen Leerstellen erscheint besondert die Entscheidung das Bild nicht mit digitalen Werkzeugen im Nachhinein unter chirurgischer Mausarbeit zu retuschieren, und illustriert so den einbindenden Umgang mit Erinnerungsstützen.

Eine glückliche Frau streckt ein Baby vor einem Rosenbusch in die Luft, darunter lugt der Schopf eines weiteren Kindes gerade über den Bildrand. Das Bild ist so geschnitten, dass die Gesichter, vor allem die der Kinder, nicht mehr zu sehen sind. Wiedererkennen könnte man vielleicht die Frau, die anderen Gesichter müsste man sich vorstellen. Noch einmal tritt hier das filmische Format 16:9 auf und auch der Zierbusch und das Baby verweisen wieder auf das romantische persische Fernsehen der 70er Jahre.

Die Rede ruft auf zum Weitermachen trotz ohnmachtseinflößender Zustände.

Vor allem aber weist sie auf die gemeinsamen Interessen der Arbeiterinnen und Migrantinnen hin; „We must set goals that will save us from oppression“, „We must move forward in unity and solidarity with others, regardless of our differences“, „We have to move together with others, think about the change of our lives“.

Zusammengelesen mit dem Ausstellungstitel „we shall sing songs of love“, überwindet das ganze den Chorus, der im Theater die Allgemeinheit darstellt und gemeinsam ein Lied singt (ob polyphon oder nicht). Es ist ein Aufruf zum Handeln und Reden in der politischen Sphäre, zur Arendtschen Vita Activa durch die Pluralität der Lieder in der Verantwortung des Einzelnen zum Ganzen ohne den genießerischen Luxus der tragischen Figur.

Text: Lena Mai Merle

Photographer: Fred Dott