Text accompanying the exhibition Случайные люди / Zufällige Menschen by Olga Monina at Vera Wessels
Elena Malzew, Случайные люди / Zufällige Menschen
Vera WesselsZürich2021
Elena Malzew
Случайные люди / Zufällige Menschen
‘В мире животных’ [In der Welt der Tiere] ist der Titel eines russischen Fernsehprogramms, das 1968 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde und bis heute immer noch produziert wird. Das Programm widmet sich ethnographisch der Beobachtung von Tieren in deren jeweiligen Lebensraum. Es zeigt Tiere auf eine sehr nahbare Weise als soziale - ja, fast menschliche - Wesen. Obwohl die Darstellungen dokumentarisch sind, entsteht oftmals ein unmittelbares Mitgefühl, Spannung und Ablehnung, schnell identifiziert man sich mit den Kreaturen. Sie leben aufregende Leben, haben Sorgen, Probleme, tragen Konflikte untereinander aus und gehen Freundschaften ein.
Wie steht es heute um unser Verhältnis zur nicht-menschlichen Welt? Ist eine echte Freundschaft zur Natur möglich oder hat die lange Geschichte der Domestizierung, Kultivierung und industriellen Naturbeherrschung diese Beziehung vollends verunmöglicht? Olga Monina erkundet diese Ambivalenz von gezähmtem Vertrauen und lauernder Gefahr in unserem Denken über das Animalische - auch in uns Selbst.Mal treten Tiere als vertrauensvolle Begleitung von Menschen auf (‘O.T.’, 2020), mal sind sie allein unter sich, zeigen dabei aber menschliche Fähigkeiten, wie in der titelgebenden Arbeit ‘Zufällige Menschen’ (2021). Die drei Schweine kommunizieren miteinander mittels kleiner Wassertröpfchen, die sich zu kyrillischen Buchstaben formen und den Titel der Ausstellung geben: ‘Случайные люди’, bedeutet ‘Zufällige Menschen’. Schnell kommt die Frage auf, welche Menschen wohl auf einem Bild mit drei Schweinen genau gemeint sein könnten und warum sie zufällig sind.
In welchem Verhältnis können Menschen und Tiere zueinander stehen und kann die - von Menschen gezogene - hierarchisierende Grenze zwischen den Spezies überwunden werden? So entsteht ein Gegenentwurf zur These, dass erst die Kultur das Tier zum Menschen machen würde. Fest steht jedenfalls, dass wir nicht allein auf dem Planeten sind, uns umgeben andere Welten und komplexe Ökologien. Auch wer sich zu diesem “wir” zählen darf ist nicht überzeitlich bestimmbar, der exklusive Status “Mensch” wurde in der Vergangenheit zwar formal allen Menschen garantiert, in der gesellschaftlichen Praxis allerdings häufiger Menschen entzogen als zugestanden.
Wenn wir also davon ausgehenen, dass die Kategorie Mensch nicht (mehr) im Zentrum des Universum steht und anerkennen, dass das Verhältnis zwischen Menschen, Tieren und Dingen auf wechselseitigen Abhängigkeiten beruht, vielleicht sogar davon ausgehen, dass die Kategorie Mensch nur durch die Abgrenzung vom Tier konstruiert wird, lässt es sich von ‘zufälligen’ Menschen sprechen.
Das Verhältnis von Mensch und Tier wird von Monina in der Ausstellung ‘Zufällige Menschen’ perspektivisch verdreht: Die Schweine können hier Russisch im Gegensatz zu den vermutlich meisten Zürcher Passant*innen, die die Birmendorfer Straße entlang spazieren. Der Titel könnte aber auch die Menschen meinen, die an der Vitrine vorbeilaufen und zufällige Blicke auf die Ausstellungssituation werfen. Eine sprachliche Charade bleibt am Ende ungelöst. Die Arbeiten von Olga Monina entziehen sich einer eindeutigen Interpretation, stattdessen bieten sie Menschen und vielleicht sogar Tieren Zugänge zu verschiedenen Kontexten, wo unterschiedliche Bedeutungen nebeneinander existieren dürfen.