Accompanying text for the exhibition by Axel Loytved NIE WIEDER FREIZEIT at Galerie Matthias Günther, Berlin
Elena Malzew, Nie Wieder Freizeit
Galerie Matthis GüntherBerlin2024
Elena Malzew
NIE WIEDER FREIZEIT
Die Grenzziehung zwischen erschöpfender Arbeit und erholsamer Freizeit ist in der durchökonomisierten Gegenwart überfällig geworden. Auch wenn die Aufteilung der Woche in fünf Arbeitstage und zwei Tage Wochenende noch formell kalendarisch bestehen bleibt, ist sie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr gegeben. Die ständigen Produktivitäts- und Konsumappelle hören nicht mit dem Zuklappen des Rechners oder dem Verlassen des Einkaufszentrums auf. Auch in Zeiten vermeintlicher Ruhe herrscht permanenter Produktions- und Konsumdruck, der vollkommen entgrenzt keinen Halt mehr vor der Freizeit macht. Immer abliefern, andere abhängen, sich steigern, sich selbst durch vermeintlich originelle Kaufentscheidungen singularisieren, auch die vielversprechende ‘me-time’ dient funktional lediglich dazu, sich für gesteigerte Produktivität auszuruhen bzw. sich durch sogenannte ‘retail therapy’ glücklich zu kaufen, um anschließend mehr zu leisten, um dann wieder konsumieren zu können. Es gibt kein geschütztes Außerhalb der Ökonomie, diese formiert selbst Subjektmodelle, das unternehmerische Selbst und Individualisierungsvorstellungen sowie Verhältnisse zu Dingen und Objekten, deren Funktionstüchtigkeit das A und O der Konsumgesellschaft und der Warenwelt darstellt. Die vermeintlich leblosen Produkte des Kapitalismus haben sich längst den Status von vitalen Akteuren erkämpft und alle Lebensbereiche unterwandert.
Mit dem (Eigen-)Leben von Gegenständen, den appellativen Infrastrukturen und Endgeräten beschäftigt sich Axel Loytved in der Ausstellung NIE WIEDER FREIZEIT. Einkaufswagen, Bildschirme, Heizkörper, Verpackungsflips, Glasflaschen und Magazine – alles Objekte des Inventars der Konsumwelt, die uns im Alltag begegnen und für keine große Aufregung sorgen. Auch wenn diese Objekte uns zunächst vertraut erscheinen, treten sie in der Ausstellung in einem desolaten und entfremdeten Zustand auf. Der Einkaufswagen ist in Einzelteile zerfallen und versinkt funktionslos in einer Pfütze, ein leerer Karton ist mit Verpackungsflips beklebt, Heizkörper sind mit Armen und Beinen ausgestattet, aus Epoxidharz gegossene Bildschirme sind teilweise an TV-Deckenaufhängung montiert, die Beine eines Plastikstuhls stecken in weißen Socken, die zu anthropomorphen Gestalten mutierten Glasflaschen geistern durch den Galerieraum und die anfänglich eine heile Welt suggerierenden ‘Freizeit’-Magazine überwältigen in ihrer Fülle an imperativen Appellen und erschrecken beim zweiten Anblick mit ihren Schlagzeilen voller dystopischer Abgründe. Loytveds zu Szenerien arrangierte Arbeiten erinnern an einen Übergangszustand: Nicht mehr die leblosen und passiven Dinge, verwandelt in hybride Wesen, die sich in einem Zwischenstadium auf dem Weg zum Status von autonomen Akteuren befinden. Sowohl die aus den Heizkörpern wachsenden Arme und Beine als auch die semantische Ebene des Wortes ‘Heizkörper’ deuten auf die Körper-Werdung der Objekte hin. Bei den aus Epoxidharz, Pigmenten und Glasfasermatten bestehenden ‚Screens’ fällt wiederum die innere Struktur der Arbeiten auf, die an organisches und Adern-artiges Gewebe des menschlichen Körpers erinnert. Loytveds material-ästhetische und humorvolle Erkundungen bringen das relationale Wechselspiel zwischen Objekt und Subjekt, Zwang und Freiheit, Konsum und Widerstand zum Ausdruck. Das Spiel und das Experimentieren mit den Gebrauchsgegenständen und deren Eigenleben und ihrer intendierten Funktionalität mündet letztlich in einer totalen Dysfunktionalität: Die Objekte verweigern sich ihrem Zweck und entziehen sich widerständig jeder Verwertungslogik. Die unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen hergestellten Objekte erfahren irritierende Brüche und werden in neue Zustände überführt. Ihre Verfassung ist ein Spiegel unseres erschöpften Selbst.