Beyond Seduction

Come Over Chez Malik’sKirchenweg 2, Hamburg6.12.2019

  • Daphne Ahlers

  • Theo Huber

  • Kristin Loschert

  • Isamu Marsden

  • Anna Szaflarski

Come Over Chez Malik’s is a project space located in the basement of a vodka bar near the central train station in the St. Georg district of Hamburg. Founded in 2014, it has been run by Elisa Barrera and Elena Malzew since 2018.

www.comeover.org


1988 ging der französische Soziologe Loïc Wacquant nach Chicago, um dort das “Chicagoer Ghetto” zu erforschen. Im Verlauf seiner Recherchen stieß er auf den ‘Woodlawn Boys Club’, einen Boxclub inmitten des sogenannten “Ghettoviertels”.  Wacquant fing an dort selbst aktiv regelmäßig zu trainieren, zunächst noch mit dem ethnographischen Ziel, den Club als “Fenster zum Ghetto” für seine Forschung nutzbar zu machen, d.h. um das alltägliche Leben rund um den Club genauer zu beobachten. Drei Jahre lang trainiert Wacquant als einzig weißes Clubmitglied drei bis sechs Mal pro Woche zusammen mit den lokalen Amateur- und Berufsboxern. Die authentische Erfahrung, das Mitmachen, gemeinsam den Sandsack zu schlagen und sich dem harten Trainingsalltag zu unterziehen, war zunächst nur Teil des Forschungsansatzes der teilnehmenden Beobachtung. Sein Ziel war das Verstehen. Wacquant interessierten nicht die glamouröse Geschichte eines Rocky ähnlichen Champions, sondern gerade für die vermeintlich unspektakulären und alltäglichen Praktiken und Routinen im Gym, wo das Boxen am eigenen Leib erfahren und schließlich verinnerlicht wird.

Das Eingangszitat unterstreicht den Umstand, dass die Tätigkeit im Boxclub eine aktive Teilnahme (ab-)verlangt, im Gegensatz zu der vermeintlich neutralen, objektiven und passiven Rolle des forschenden Wissenschaftlers. Die Übung selbst wird verinnerlicht, geht in den Leib des Trainierenden über. So beginnen die Grenzen zwischen Beobachter und Boxer im Verlauf seines Forschungsvorhabens zu verschwimmen: Die Verführung durch den Forschungsgegenstand bringt ihn sogar beinahe dazu, seine akademische Karriere aufzugeben und stattdessen zu den Berufsboxern zu wechseln. Dies geschieht nicht und stattdessen wird das Boxen zum eigenständigen Forschungsthema.

Boxen bewegt sich für Frithjof Nungesser zwischen zwei Polen: einerseits ist es eine “noble Kunst”, die häufig mit einer mönchischen Askese einhergeht. Andererseits wird es oft als stupide, brutale, gewaltförmige und sexistische Praktik beschrieben. In diesem Spannungsverhältnis liege die soziologische Faszination am Boxen. Er unterscheidet zwischen drei Arten, wie Boxen wissenschaftlich erfasst und analysiert werden könne. Die erste Perspektive findet sich im bereits erwähnten ‘Leben für den Ring’. Wacquant nähert sich dem Boxen mit einer autoethnographischen Kulturanalyse. Im Rahmen der zweiten Erfassung wird Boxen als eine Versportlichung von Gewalt im Prozess der Zivilisierung betrachtet. So ist für Randall Collins das Boxen eine Form der “staged violence”. Der dritte Ansatz sieht im Boxen eine Miniatur, bzw. ein Modell der Gesellschaft selbst. Die elementare Situation des Boxens lässt als Modell bestimmte Strukturen des Sozialen leichter erkennen. Dieser dritte Ansatz lässt sich insbesondere in praxeologischen Arbeiten finden, so etwa bei Robert Schmidt, der in seiner ‘Soziologie der Praktiken’ immer wieder auf das Boxen zu sprechen kommt. Für ihn führen “sportliche Praktiken [...] Eigenschaften sozialer Praktiken vor, die üblicherweise im Alltäglichen,  analysiert werden könne. Die erste Perspektive findet sich im bereits erwähnten ‘Leben für den Ring’. Wacquant nähert sich dem Boxen mit einer autoethnographischen Kulturanalyse. Im Rahmen der zweiten Erfassung wird Boxen als eine Versportlichung von Gewalt im Prozess der Zivilisierung betrachtet. So ist für Randall Collins das Boxen eine Form der “staged violence”. Der dritte Ansatz sieht im Boxen eine Miniatur, bzw. ein Modell der Gesellschaft selbst. Die elementare Situation des Boxens lässt als Modell bestimmte Strukturen des Sozialen leichter erkennen. Dieser dritte Ansatz lässt sich insbesondere in praxeologischen Arbeiten finden, so etwa bei Robert Schmidt, der in seiner ‘Soziologie der Praktiken’ immer wieder auf das Boxen zu sprechen kommt. Für ihn führen “sportliche Praktiken [...] Eigenschaften sozialer Praktiken vor, die üblicherweise im Alltäglichen,ndenburg. Dabei entstanden Aufnahmen von Orten, die merkwürdig aus der Zeit gefallen wirken: Equipment und Einrichtung entsprechen weder den modernen Standards noch der aktuellen Ästhetik des Kampfsport. Sie erinnern vielmehr an Fragmente aus einer längst vergangenen Zeit, ganz so als hätte Max Schmeling wenige Sekunden zuvor das Bild verlassen. Die Bilder betonen gleichsam die schonungslose Härte des Sports, machen sie atmosphärisch spürbar, ohne dabei die Verletzlichkeit aus dem Auge zu verlieren.

Text: Elena Malzew

Installation view
Kristin Loschert, Untitled from the series Boxer, 2013
Installation view, Isamu Marsden, Kristin Loschert
Installation view, Kristin Loschert, Isamu Marsden
Isamu Marsden, Uppercut, 2019
Kristin Loschert, Untitled from the series Boxer, 2013
Kristin Loschert, Untitled from the series Boxer, 2013
Kristin Loschert, Untitled from the series Boxer, 2013
Installation view, Theo Huber, Anna Szaflarski, Kristin Loschert
Installation view, Theo Huber, Anna Szaflarski, Daphne Ahlers, Kristin Loschert
Theo Huber, Banana Bedenken, 2019
Anna Szaflarski, Power is a familiar growth, 2019
Installation view, Daphne Ahlers, Anna Szaflarski
Anna Szaflarski, Power is a familiar growth, 2019
Installation view, Daphne Ahlers, Anna Szaflarski
Daphne Ahlers, Schamkapsel, 2019, Half a frame breaker, 2019, Fledge lord, 2019
Installation view, Anna Szaflarski, Kristin Loschert
Kristin Loschert, Untitled from the series Boxer, 2013
Kristin Loschert, Untitled from the series Boxer, 2013

Photographer: Fred Dott