Organized with Martin Karcher
Arbeit am Mythos
St. Jacobi KircheJakobikirchhof 22, Hamburg27.6. – 11.7.2021
Noémi Barbaglia
Nico Ihlein
Elisabeth Moch
Paul Spengemann
Mark Van Yetter
Unter den Bedingungen der Neuzeit, die keine Götter und kaum noch Allegorien erfinden kann, heißt das, an Stelle der alten Namen neue abstrakte bis hochabstrakte Titel zu setzen: das Ich, die Welt, die Geschichte, das Unbewußte, das Sein.
– Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos
„Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt", halten Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung fest. Das positivistische Erkenntnisideal wurde zum singulären Garanten exakter Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Die Signatur dieses Siegeszugs von logos und techne ist ein modernes Misstrauen gegenüber allem, was sich nicht beobachten, abbilden, reproduzieren und schließlich beherrschen lässt. Wir sehen uns heute in Folge dessen konfrontiert mit einem eisigen Absolutismus der Wirklichkeit. Keine ,große Erzählung' (Lyotard) leitet den Weg, vertreibt die existenzielle Unsicherheit, spendet Orientierung oder sogar - wie schön wäre es - Trost. Gleichzeitig kommen wir auch trotz noch so raffinierter, technischer Apparaturen an diese Wirklichkeit (respektive psychoanalytisch: das Reale) nicht heran. Denn obwohl eine szientistische Obsession mit dem fundamentalontologisch Eigentlichen vorherrscht, kann kein technisches Instrumentarium den Anfang erklären. Obwohl wir den Zellen beim Schuften zusehen können und Lichtiahre entfernte Sterne beobachten, entzieht sich das Eigentliche souverän, es bleibt radikal unverfügbar. „Der Mythos ist eine Rede", vermerkt Roland Barthes und Konkretisiert ferner: „Der Mythos ist ein System der Kommunikation, eine Botschaft. Es ist diese narrative Qualität des Mythos als Allegorie und sinnstiftende Rede - kurz: als Wirklichkeitsdeutung - die im Zentrum des Interesses der Ausstellung Arbeit am Mythos steht. Der von Blumenberg entliehene Ausstellungstitel unterstreicht dabei die gesellschaftliche Konstruktion des Mythos, den Mythos gibt es nicht, wie Blumenberg festhält: „Erst die Arbeit am Mythos - und sei es die seiner endgültigen Reduktion - macht die Arbeit des Mythos unverkennlich." Der Mythos ist ein Wirklichkeitszugang, der Distanz zum skizzierten Absolutismus der Wirklichkeit erlaubt(e). Als Allegorie gibt er erzählend - und eben nicht szientistisch erklärend - Auskunft über die zentralen Fragen des menschlichen Seins. Beispielsweise wurde Prometheus' Raub des Feuers, nachdem Zeus dieses den Menschen vorenthalten wollte, zu einer Allegorie der konstitutiven Bedeutung von Technik/Kultur für die menschliche Existenz. Dabei soll der Mythos eben gerade nicht als Gegenteil des Logos gefasst werden, vielmehr schließen wir uns Blumenberg an, wenn er festhält „Die Grenzlinie zwischen Mythos und Logos ist imaginär und macht es nicht zur erledigten Sache, nach dem Logos des Mythos im Abarbeiten des Absolutismus der Wirklichkeit zu fragen. Der Mythos selbst ist ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos."
Text: Martin Karcher
Photographer: Jaewon Kim